Andacht - Auf ein Wort

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# Andacht

Andacht - Auf ein Wort

Andacht zum Wochenspruch Misericordias Domini:

„Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme,

und ich kenne sie und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben.“ (Joh 10,11.27-28)

 Ende der 90-er Jahre war ich Student an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig und besuchte ein homiletisches Hauptseminar – Predigtlehre also. In Leipzig war das wirklich sehr praktisch orientiert. Jeder Student, jede Studentin musste am Ende eine Predigt halten. Nicht etwa im Seminar, sondern vor einer echten Gemeinde im Leipziger Umland – mit Predigtnachgespräch im Gemeindehaus im Anschluss an den Gottesdienst.

 Es wird Sonntag. Die Kirche, in der ich dran bin, ist ein typischer Gründerzeitbau in einem Leipziger Vorort. Neugotisch. Ich bin so aufgeregt! Hinter mir sitzen meine Kommilitonen, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter, die ganze Gemeinde und der dortige Pastor.

Während mein Professor den Gottesdienst hält kann ich meinen Blick nicht von diesem großen Fenster im Altarraum lassen. Es lässt mich nicht los. Dargestellt ist Jesus, lebensgroß, mit gelocktem Haar bis zu den Schultern. Sein helles Gewand endet über den Knien. In Sandalen steigt er über Fels und Geröll. Mit seiner rechten Hand hält er aufrecht den Hirtenstab fest. Links trägt er ein Lamm. Das liegt geborgen auf seinem Unterarm und schmiegt sich an seinen Oberkörper. Es ist unversehrt. Ruhig blickt es in die Welt – und die zeigt sich rau. Dornen und Disteln im Vordergrund. Unwegsam der schmale Pfad. Am Horizont eine kleine Siedlung. Weit draußen also spielt diese Szene. Im Gelände, in dem man ohne Landkarte (oder Smartphone) schnell verloren ist. Ich schaue auf das bunte Glas, das in der Sonntagmorgensonne leuchtet. Der Schriftzug darunter spricht für sich: „Ich bin der gute Hirte.“

 Damals ging mir durch den Kopf, dass ich sonst solche Kunst als kitschig empfunden hätte. Ende des 19. Jahrhunderts gemalt, aber unzerstört geblieben. Zwei Kriege, russische Verwüstung und den deutschen demokratischen Atheismus hatte dieses Glasfenster unbeschadet überstanden. Unzählige Menschen haben es schon gesehen – in Freude und Trauer. Mit dem Neugeborenen im Taufkleid auf dem Arm oder bei der Abkündigung des verstorbenen Ehepartners, in Zeiten des Friedens und des Krieges.

 Ein Lied noch, dann muss ich auf die Kanzel. Jetzt, in dieser Situation, in der ich mir wirklich verloren vorkomme, trifft mich dieses Bild und das Bibelwort mitten ins Herz: „Ich bin der gute Hirte.“ – Kitsch hin oder her!

 Warum war ich gerade hier? Weil ich Hirte für eine Gemeinde werden sollte und weil ich selber Schaf bin in der Herde meines Hirten. Höre ich die Stimme meines Herrn? Erkenne ich sie unter den vielen anderen Stimmen meines Lebens?

 Mich bewegt dieser Wechsel zwischen Vertrauen und Zweifel bis heute. Schafe haben dem Menschen diesbezüglich etwas voraus. Aber damals im Gottesdienst, als mir das Herz in die Hose rutschte, und immer wieder im Leben, wenn es mir schlecht geht angesichts der rauen Welt mit ihren Disteln und unwegsamen Pfaden, weiß ich: Mich trägt der Arm des Herrn. In Freude und Trauer, in Zeiten des Friedens und des Krieges. Hier und in Ewigkeit!

 

Es grüßt Sie herzlich Ihr

Pastor Kai Sundermeier

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